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... Geist ist Kraft, Geist ist Gesundheit. Kinder, die im Geist erzogen werden, der stärker ist als die Mächte der Verneinung, des Umsturzes, des Chaos, der Gottesverleugnung, werden ein Menschenbollwerk bilden können, an dem der Wille des Verderbens abprallt. Was war es, das das kleine Griechenvolk fähig machte, die ungeheure Wucht der persischen Überflutung zurückzudämmen? Die harmonische Ausbildung aller seiner Kräfte auf der Grundlage eines tiefen geistigen Wissens, das den Führern eigen war, die es erzogen; eine Erziehung, die mit den Forderungen der Zeit, des Menschheitslebensalters von damals rechnete und in allem Körperhaften den Geist sah, der am lebendigsten und schöpferischsten dann wirkt, wenn die in der Physis waltenden schöpferischen Kräfte ungehemmt ausgebildet und durchs Leben hindurch wissend weitergebildet werden. ...

Marie Steiner 1927

Noch vor der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, als das materiali­stische Leben Europas in seiner äußern Kraftentfaltung stand, gab es allüberall verstreut suchende Seelen, die aus der bürgerlichen Dumpfheit des Lebens in die verschiedensten Bewegungen flüchteten, von denen sie einen geistigen Impuls oder ein Vergessen der sie quälenden Rätselfragen nach dem Sinn des Daseins erhofften. In idealistisch-soziale, in politisch-revolutionäre, in sektiererische oder tolstoianische Strömungen: nur um ihrem Dasein ein über die engen Grenzen des persönlichen Lebens hinausgehendes Ziel zu geben, um den quälenden Fragen über die Sinnlosigkeit eines Daseins zu entgehen, dessen Schranken Geburt und Tod und die physische Leiblichkeit sein sollen. Diesen Fragen gegenüber hatte die Wissenschaft keine Antwort zu geben, der Intellekt kapitulierte vor ihnen, aber verwies in seinem engumgrenzten Hochmut mit kategorischem Imperativ die rebellierende Seele in diese Schranken zurück. Mit zäher Verbissenheit glaubte er beharren zu müssen innerhalb des Kreislabyrinths, in das ihn die Sinneswahrnehmung eingeschlossen hielt, und betrachtete es als laienhaft, über diesen Kreis hinausdringen zu wollen und an die Tore des Geistes zu rütteln. Immer mehr belastet mit den schweren Einschlüssen alles dessen, was ein totes Gedankenleben den Menschen der Gegenwart gebracht hatte, stand das menschliche Ich frierend und ratlos vor dem geschlossenen Tore des Geistes. Aus dem Dämmerdunkel alter Zeiten tönte manches Wort hinüber, das wie lichtweisend war. Mysterienwissen hatte es früher gegeben. Stätten, die geschlossen waren dem Profanen. Unter Lebensgefahr betrat man sie, nach strengen Prüfungen und Gelöbnissen, und niemals drang in die Außenwelt hinein eine Kunde der geheimnisvollen Vorgänge, die sich da abspielten, ohne daß solches mit dem Tode bestraft worden wäre. Aber Kulturen traten aus ihnen hervor, Lenker der Staaten und deren Berater, Religionen und ihre Begründer, Kunst und Weisheitslehren. Und so formte sich die Geschichte unter dem machtvollen Einflüsse dessen, was aus den Mysterienstätten hervor­drang, und eine Kultur folgte der andern, immer neue Gebiete der Daseinserkämpfung den Menschen erschließend, zugleich die einzelne menschliche Seele von Sprosse zu Sprosse weiterführend auf der Stufenleiter menschlicher Entwickelung, hinein in ihr eigenes Innere, aus dumpfem Alleben zu bewußtwerdendem Eigenleben, damit es in sich erstarke und als starkes Ich wieder ins Alleben zurückkehre. Auf diesem Wege sind alle jene Prüfungen zu erleiden, durch die allein der Mensch wachsen kann. Und hier lauern auch die Gefahren, durch deren Besiegung aber der Mensch wissend werden kann. Selbstüberwindung ist das erste Ziel dieser Prüfung; die große Gefahr ist die des Sich-selbst-Verlierens. Doch in dieser Gefahr stehen heute so viele Menschen: zahllose Einzelseelen, die ihr Ich immer mehr und mehr entschwinden fühlen, Jugend, die an diesem inneren Sterben zugrunde geht und gleichsam als lebender Leichnam durch die Welt schleicht, Menschheit, die, erschreckt, sich plötzlich mitten drinnen in einer Konjunkturkrise sieht, in der ihr das Menschliche verloren zu gehen droht, in der das Menschtum vor der Maschine kapitulieren muß. Aber in diese Gefahr des Verlierens der Menschenwürde und der Menschenbehauptung tönt laut und vernehmlich wieder hinein die Stimme des Mysteriums. Anders als früher. Denn auch das Mysterium und seine Verkündigung haben sich gewandelt. Es war zurückgetreten in die Nacht der Verborgenheit, war scheinbar verstummt, nachdem es sich erfüllt hatte in der Tat von Golgatha. Durch diese war es herausgetreten aus den geweihten Bezirken früherer Abgeschieden­heit hinunter in das breite Menschenleben. Es hatte sich vor den Augen der Welt vollzogen. Damit war ein Wendepunkt eingetreten, hatte eine neue Phase des Mysterienwirkens begonnen. Das alte Mysterium hatte seine Aufgabe erfüllt. Das gewaltig Große, langsam Vorbereitete, der Sinn der Erdenentwicklung war als Geschehnis, als Erreichnis aufgeleuchtet. Was aus alten Mysterien­stätten weiterlebte, wenn es sich nicht mit dem neuen Impuls verband, konnte nur in äußeren Formalitäten sich erhalten, die dann aber zu dekadenter Verzerrung führen. Dekadente Verzerrung wird bald aufgegriffen von den Mächten des Bösen, geht den Bund mit ihnen ein, löst sich los vom reinen Urbild. Der verborgene reine Wesenskern muß sich andere Formen des Ausdrucks suchen. Abseits von der Bühne des äußern Menschengeschehens, nicht mehr gebunden an Örtlichkeiten, fern dem kirchlichen und weltlichen Getriebe, erstand eine neue Esoterik, deren Aufgabe es war, das menschliche Ich zum wachen Bewußtsein, zum Ergreifen seiner selbst zu führen, zur Wieder­eroberung der geistigen Welt aus den Kräften des eigenen freien Willens heraus. Der Außenwelt unbekannt waren die verborgenen Stätten, in denen das der Zeit angemessene Mysterienwissen gepflegt wurde. Nicht mehr stand es im Mittelpunkt und Hintergrund der nach außen hin sich ergießenden Kultur. Gleichsam den Herzschlag des Welt­geschehens in verborgener Kammer leitend, Leben in die geistige Blutzirkulation der Menschheit hineinbringend, so wirkten seine Strahlungen. Oft wurde der Versuch gemacht, dieses den Menschen zur Wachheit und Freiheit drängende Leben zu unterdrücken. Die Staaten und die Kirchen, die ihm abgeneigt waren und ihre weltliche Macht nicht bedroht sehen wollten, selbst die noch immer vorhande­nen Repräsentanten alter Mysterientradition, die hinter den Kulissen des historischen Geschehens immerhin noch eine lenkende, wenn auch durch politische und Eigenziele gebundene Macht waren und bleiben wollten, sind ihm feindlich. Denn es hat die Kraft, die Menschen aus den Differenzierungen herauszuheben, aus dem Getrenntsein in Nationen, Wirtschaftskreise und Stände zur Einigung und Gemeinschaft zu führen. Dies soll verhindert werden, Sondermachtzielen zu Nutz. Aber Leben, das dem geistigen Urquell entstammt, läßt sich nicht töten. Es bricht sich irgendwie Bahn durch alle ent­gegengeschleuderten Hemmnisse hindurch. Und heute ist die Zeitenstunde eine solche, in der das Mysterium zu allen Menschen sprechen muß. Nicht kann die Menschheit sich mehr aus der Wirrnis helfen, wenn ihr nicht die Möglichkeit dieses Wissens gereicht wird. In dem Werke Rudolf Steiners, das die Opfer­tat des stärksten Genius unserer neuen Zeit ist, sind die dem Bewußt­seinszustand der heutigen Menschheit entsprechenden Aufklärungen gegeben über die Zusammenhänge jenes weltumspannenden geistigen Geschehens, das sich hinter den sichtbar hervortretenden Tatsachen der Historie immer abgespielt hat; aber auch alles das, was die Menschheit der Zukunft braucht, um den Kerker ihres engen Selbst­seins zu durchbrechen und mit Überwindung der Egoität zur innern Freiheit zu gelangen, hinüberzuschreiten durch das Tor der Erkennt­nis in die Welt des Geistes, zu der wir innerlich gehören. Einen andern Weg zur Wiedergewinnung unserer Menschenwürde, einen andern Weg, um den Menschen in uns zu finden, der uns nach dem Willen der Gegenmächte des menschheitlichen Fortschritts ge­nommen werden soll, damit das Tier in uns den Sieg gewinne oder der Dämon der Maschine den Menschen erwürge, ein anderes Mittel als die Erkenntnis der immer waltenden Formen-, Substanz- und Bewußtseinswandlung, die im Menschengeschehen erlebt und im Mysterium gepflegt werden, gibt es nicht.

Marie Steiner 1932


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